Dr. Jörg Rheinländer ist Vorstand der HUK-Coburg Versicherungsgruppe. (Foto: HUK)

Dr. Jörg Rheinländer ist Vorstand der HUK-Coburg Versicherungsgruppe. (Foto: HUK)

Im Gespräch – Dr. Jörg Rheinländer, Vorstand der HUK-Coburg Versicherungsgruppe

Menschen, Personalie, Versicherung

Das Spielfeld wird neu aufgeteilt – Versicherungen sind im Wandel. Die Digitalisierung in den Fahrzeugen schreitet fort, Assistenzsysteme und Telematik im Fahrzeug erzeugen Unmengen von Daten. Daten, an denen Fahrzeughersteller und Versicherungen brennend interessiert sind, die aber auch die Sicherheit des Straßenverkehrs verbessern und damit Menschenleben retten können. Die serienmäßig Black-Box ist hier ein wichtiges Thema für eine weitere Digitalisierung der Fahrzeuge. Dr. Jörg Rheinländer, Vorstand der HUK-Coburg Versicherungsgruppe, spricht über die Mobilität in der Zukunft und die neuen Herausforderungen, die die fortschreitende Digitalisierung mit sich bringt.

Frage: Die Kfz-Versicherung ist im Umbruch. Die gesamte Wettbewerbslandschaft verschiebt sich, neue Anbieter drängen herein. Die HUK-Coburg verteidigt ihre Position als Marktführer in Deutschland. Wie stellt sich die Lage für Sie derzeit dar?

Rheinländer: Diese Verdrängung gibt es in der Tat und sie geschieht nicht nur durch die bekannten Wettbewerber. Längst beteiligen sich auch branchenfremde Unternehmen. Typisch ist für unser Geschäft heute, dass die Branchengrenzen verschwimmen. Neue Wettbewerber können gleichermaßen die etablierten Player sein wie Start-ups. So versuchen Auto-Hersteller, -Händler und Versicherer, den Kunden mehr Produkte und mehr Dienstleistungen anzubieten. Zugleich sind völlig neue Mitspieler wie Google, Amazon oder Apple an den Daten interessiert, die aus den Fahrzeugen stammen.

Frage: Ist dieser intensive Wettbewerb für die HUK-Coburg denn neu?

Rheinländer: Nein, wir leben seit mehr als zehn Jahren mit diesen Herausforderungen. Wir haben auch sehr früh darauf reagiert, zum Beispiel mit unserem Service-Angebot, die Schadensregulierung in einem Netz von Partnerwerkstätten anzubieten und so dem Kunden einen Rabatt zu geben. Wir kümmern uns also inzwischen nicht mehr nur um die reine Versicherung, sondern übernehmen die gesamte Abwicklung nach einem Unfall. Über eine halbe Million Schäden haben wir allein 2017 in unsere Partnerwerkstätten gesteuert, das waren 600 Millionen Euro Umsatz. Solche Dienstleistungen weiten wir künftig noch aus. Wir werden zu jedem Bereich in der privaten Pkw-Nutzung ein Angebot machen und damit einen klar ersichtlichen Mehrwert bieten.

Frage: Wie reagieren die Kunden auf diese neue Versicherungswelt?

Rheinländer: Auch deren Verhalten und Erwartungen ändern sich. Aber zunächst einmal muss das Kern-Produkt stimmen: Für uns als Unternehmen ist deshalb die Kfz-Haftpflichtversicherung ein elementar wichtiges Produkt. Schließlich muss sie jeder Autobesitzer haben. Wenn ein Versicherer hier seinen Job gut macht, empfiehlt er sich beim Kunden auch für andere Produkte.

Frage: Ihre Wettbewerber sind unter anderem die Automobilhersteller, die eigene Policen anbieten. Welche Vorteile hat ein Versicherer in diesem Ringen?

Rheinländer: Die entscheidenden Faktoren sind heute immer noch Preis, Service und Leistung. Als preiswerter, service-orientierter Anbieter kommt uns dies entgegen. Von diesen Kernversprechen konnten wir immerhin schon über 11,5 Millionen Kunden überzeugen und an dieser Ausrichtung halten wir fest. Die große Zahl von Kunden bedeutet eine riesige Chance für uns. Wir werden auch in Zukunft konsequent daran arbeiten, unsere Kostenführerschaft zu behaupten, gleichzeitig aber unsere Marktstellung in anderen Bereichen weiter ausbauen.

Frage: Wie verändert die Digitalisierung Ihr Geschäft mit privaten Autobesitzern?

Rheinländer: Unser Haus lebt vom direkten Kundenkontakt. Nun schalten sich aber Online-Vergleichsportale zwischen uns und den Kunden. Das betrifft die Versicherungsunternehmen unterschiedlich. Wenn ein Versicherer seine Produkte bislang vor allem über Makler vertrieben hat, ändert sich durch die Digitalisierung grundsätzlich weniger für ihn: Stationäre Makler werden dann nur durch Online-Makler ersetzt. Für uns ist das anders.

Frage: Wie wollen Sie die Kunden vor diesem Hintergrund ansprechen?

Rheinländer: Die reine Autoversicherung genügt heute nicht mehr, um Kunden zu halten. Im Kampf mit den Portalen steht am Ende die Frage, wer in der Kette den Kunden direkt bedienen wird. Wer also den unmittelbaren Kontakt zu ihm hat. Wir wollen in diesem Rennen nicht Lieferant für andere werden, sondern wir wollen den direkten Draht behalten. Deshalb müssen wir weitere Argumente liefern, warum Kunden aus voller Überzeugung bei uns sein sollten.

Frage: Worin könnten diese bestehen?

Rheinländer: Unsere Arbeit dreht sich in zwischen eben nicht mehr allein um die Versicherung. Es geht uns vielmehr darum, ein gesamtes Ökosystem Mobilität anzubieten. Der Kunde soll automatisch an die HUK-Coburg denken, wenn er mobil sein will. Wir müssen deshalb nicht nur gute Versicherungslösungen offerieren. Wir müssen uns vielmehr fragen, wie wir den entscheidenden direkten Draht zum Kunden über vielfältige andere Aktivitäten behalten.

Frage: Gibt es schon Lösungen abseits des traditionellen Versicherungsgeschäfts?

Rheinländer: Eine ganze Reihe! Wir bieten zum Beispiel in Kooperation mit der Postbank Autokredite an, früher ein klassisches Geschäft der Banken und Hersteller. In unseren Werkstätten erhalten unsere Kunden heute zudem eine Inspektion, einen Reifenservice oder eine TÜV-Untersuchung. Das sind für uns spannende Entwicklungen. Wir testen sogar den Verkauf von Gebrauchtwagen. In Düsseldorf haben wir ein Autohaus eröffnet, das innerhalb eines guten Jahres bereits 1.000 Transaktionen verbuchen konnte. Das ist ein toller Erfolg.

Frage: Warum verkauft ein Kfz-Versicherer Gebrauchtwagen?

Rheinländer: Wir wollen von Anfang an beim Kunden sein. Eigentlich schon vor dem Kauf seines Wagens. Die zentralen finanziellen Entscheidungen werden schließlich beim Autokauf getroffen. Da muss man sich um Finanzierung und Versicherung kümmern. Für uns ist das ein extrem wichtiger Zeitpunkt, an dem wir präsent sein wollen. Aber es geht ja noch weiter: Im Laufe des Autolebens kommen Wartung, Inspektion, Reifen und so weiter hinzu. Auch hier können wir dem Kunden eine Menge Angebote bieten. Er vertraut der Marke HUK-Coburg bereits bei der Versicherung, da wird er ihr vermutlich auch in anderen Bereichen Vertrauen schenken. Das enttäuschen wir nicht und erweitern so unsere Aktivitäten.

Frage: Wie können Sie diese vielen neuen Dienstleistungen anbieten?

Rheinländer: Wir sind schon heute größter Einkäufer von Ersatzteilen bei den meisten Autoherstellern in Deutschland. Und wir verfügen über das umfangreichste Werkstattnetz: 1.500 Vertragswerkstätten im gesamten Land. Wir beginnen jetzt, mit den ersten Werkstätten immer neue Leistungen zu entwickeln. Zum Beispiel Reifen: Aufgrund unserer Einkaufsmacht bekommen wir die günstiger. Unseren Versicherungskunden wiederum bieten wir deshalb gute Preise in den Werkstätten an. Das können wir, weil wir den direkten Kundenkontakt besitzen – anders als die Autohersteller.

Frage: Warum haben Sie mit solchen Offerten die Nase gegenüber den Herstellern vorne?

Rheinländer: Uns sind die Fahrer und ihre Fahrzeuge bekannt. Da sind die Auto-Hersteller in einer schlechteren Position. In der Regel haben sie zwei bis drei Jahre nach dem Autoverkauf keine Informationen zum Kunden mehr. Die Kundenschnittstelle ist aber der Dreh- und Angelpunkt vieler Geschäftsideen und damit für alle Player im Mobilitätsumfeld von größtem Interesse.

Frage: Welche weiteren großen Themen bewegen die Branche derzeit?

Rheinländer: Das ist einmal der Trend zum automatisierten Fahren, der das Umfeld für die Mobilität erheblich verändert. Das Spielfeld wird neu aufgeteilt, auch zwischen Versicherern und Automobilherstellern. Das zweite Thema ist die Veränderung der Geschäftsfelder durch die Digitalisierung.

Frage: Viele Hersteller arbeiten an fahrerlosen Autos. Wie trifft das die HUK-Coburg?

Rheinländer: Die Entwicklung geht tatsächlich unumkehrbar in Richtung autonome Fahrzeuge. Aber das geschieht nicht über Nacht, es wird nicht von 0 auf 100 kommen. Auf dem Weg dahin sehen wir zunächst immer mehr Assistenzsysteme. Das bedeutet weniger Unfälle, weniger Versicherungsschäden und niedrigere Prämien. Das heißt aber auch: Weniger Geschäftsvolumen für uns.

Frage: Autoversicherer werden damit in Zukunft also überflüssig?

Rheinländer: Sicher nicht. Die Frage ist doch, wer sich nach einem Schaden um die Abwicklung kümmert. Durfte sich ein Autofahrer auf das teilautonome Fahrzeug verlassen, wenn es doch zu einem Unfall kommt? Trifft den Fahrer die Verantwortung oder den Fahrzeughersteller? Ein Unfallopfer sollte nicht direkt mit dem Hersteller streiten müssen. Auch unser Kunde nicht, wenn sein Fahrzeug den Unfall verursacht hat. Da hätten beide Seiten schlechte Karten.

Frage: Wer zahlt bei einem Unfall mit einem teilautonomen Fahrzeug?

Rheinländer: Der Haftpflichtversicherer des verursachenden Fahrzeugs. Der lässt sich gegebenenfalls den Schaden vom Hersteller ersetzen, wenn es einen Fehler im Programm oder in einem Steuerungsteil gab.

Frage: Wann rechnen Sie eigentlich damit, dass wir flächendeckend autonome Fahrzeuge auf den Straßen sehen?

Rheinländer: Das ist ganz schwer vorherzusagen. Dafür bräuchten wir zum Beispiel erst einmal richtig schnelles Internet, und das gibt es in Deutschland nicht vor 2028.

Frage: Schneller werden wohl viele Elektrofahrzeuge kommen. Wie versichern Sie diese und was ändert sich durch sie für eine Versicherung?

Rheinländer: Wir haben derzeit nur 3.500 E-Fahrzeuge versichert, das reicht nicht für vernünftige statistische Aussagen. Die Halter zahlen jedenfalls weniger für die Versicherung, weil es sich um schadstoffarme Fahrzeuge handelt. Darauf geben wir einen Preisnachlass. Mit Schäden haben wir aber bislang einfach zu wenig Erfahrung. Es könnte zum Beispiel sein, dass beschädigte Batterien uns teuer kommen werden.

Frage: Seit dem vergangenen Jahr bieten Sie einen Telematik-Tarif an. Er belohnt Kunden für besonnenes Fahrverhalten mit niedrigeren Prämien. Warum machen Sie das?

Rheinländer: Wir richten uns damit an Fahrer unter 25 Jahren. Diese können mit dem Programm „Smart Driver“ bis zu 30 Prozent sparen. Der große Erfolg zeigt uns, dass wir mit dem Angebot auf dem richtigen Weg sind und die Bedürfnisse des Marktes genau treffen.

Frage: Für den Tarif wird eine Box ins Auto eingebaut, die sehr kostspielig für Sie ist. Warum gibt es das Angebot dennoch?

Rheinländer: Im Gegensatz zu einer App liefert die Box verlässlich Daten. Wir müssen unbedingt verstehen, welche Bedeutung die Daten haben, die aus dem Auto kommen. Und das geht nur über eine verlässliche Lieferung. Und schließlich konkurrieren wir um diese Daten mit den Herstellern. Daimler hat gerade selbst einen Telematik-Versicherungstarif auf Basis der eigenen Daten angekündigt.

Frage: Wie läuft der „Smart Driver“-Tarif?

Rheinländer: Wir haben deutlich mehr Kunden gewonnen, als wir geplant hatten. Es sind bislang schon 50.000. Am Datenmaterial, das wir aus den Boxen gewinnen, arbeiten wir mit großem Interesse. Es ist technisch herausfordernd, diese riesengroße Menge zu analysieren. Das muss man sich so vorstellen: Nehmen Sie an, die Datenmenge, die wir bislang zur Tarifierung von unseren 11,5 Millionen Kunden heranziehen, entspricht einem Meter Höhe. Dann ist die Datenmenge, die unsere 50.000 Telematik-Kunden generieren, so hoch wie der Mount Everest, mehr als 8.000 Meter.

Frage: Bleiben Ihre Telematik-Boxen so teuer?

Rheinländer: Wir haben schon eine Lösung, die uns weniger kostet als die bisherigen Boxen. Unsere Idee ist es, ein fest installiertes Gerät im Auto mit dem Smartphone zu koppeln, das die Daten transportiert und das GPS-Signal liefert. Der Einstieg in einen Telematik-Tarif muss über Angebote gehen, für die der Kunde nichts bezahlt. Zugleich sind für den Anfang dieser Tariffamilie aber reine Handy-Lösungen nicht sinnvoll.

Frage: Wann kommt diese neue technische Lösung?

Rheinländer: Spätestens im Jahr 2019 wollen wir damit in den Markt.

Frage: Zum Jahreswechsel suchen sich viele Autobesitzer eine neue Versicherung. Wie lief das Geschäft bei Ihnen diesmal?

Rheinländer: Es war ausgeglichen. Wir haben zum Jahreswechsel 2017/18 ungefähr so viele Kfz-Versicherungen gewonnen, wie wir abgeben mussten.

Frage: Sie haben sich inzwischen ja vollständig aus den Online-Vergleichsportalen herausgezogen. Wieviel Geschäft hat Sie das gekostet?

Rheinländer: Der Effekt ist tatsächlich zu spüren, er war allerdings überschaubar. Wir haben uns zurückgezogen, weil wir an die Portal-Betreiber wesentlich mehr bezahlen mussten, als wir für den eigenen Vertrieb aufwenden. Wir wollen stattdessen dafür sorgen, dass die Kunden uns direkt ansteuern. Dazu muss das Kernangebot Autoversicherung weiterhin gut und günstig sein.

Frage: Als Mathematiker steht Ihnen der Umgang mit “Künstlicher Intelligenz” besonders nahe. Das Thema ist für die Versicherungsbranche hochinteressant. Wie weit sind Sie da schon?

Rheinländer: Wir beschäftigen uns intensiv damit. Ein erster, zarter Beginn von KI könnte beim Schaden-Erstkontakt entstehen, also bei der Schadenaufnahme. Die wird dann nicht mehr durch ein Callcenter, sondern durch einen Bot, also eine Maschine, geschehen. So etwas gibt es in anderen Ländern teilweise schon. Liegt in Deutschland aber noch in der Zukunft.

Frage: Was kann diese Maschine denn ohne menschliches Zutun entscheiden?

Rheinländer: Ein Beispiel: Der Kunde ist schon 20 Jahre bei uns, es ist sein erster Schaden. Dann sollten wir doch sofort die Zahlung freigeben! Solche Dinge könnte KI erledigen. Da stehen wir in der Branche aber alle noch am Anfang und lernen unheimlich viel.

Frage: Wann kommt ein solches Beispiel in die Praxis?

Rheinländer: Das werden wir in nicht mehr allzu langer Zeit im Kundenkontakt sehen.

Frage: Eine weitere Bedrohung für Ihr Geschäft könnte der Einstieg von Amazon werden. Es gibt schon lange Gerüchte, dass der Internet-Marktplatz auch Versicherungen vertreiben will. Wie würden Sie darauf reagieren?

Rheinländer: Das wird zwar schwierig werden, man muss aber bedenken: Amazon hat bei Marketplace eine Marge von über 20 Prozent. Sollten sie das auf eine Versicherungspolice aufschlagen, kommen die deutschen Kunden möglicherweise doch wieder zu uns. Schließlich bewegen wir uns hier in einem sehr preissensiblen Bereich. Und mit unserer Kostenstruktur können wir besonders günstige Policen anbieten. Gegenüber dem Wettbewerb ist das ein klarer Vorteil.

Herr Dr. Rheinländer, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch für D-C.I. führte Lennart Karow vom Goslar Institut.

Infos: Zur Webseite des Goslar Instituts